High Noon im Cyberspace

Über Kontingenz, Nationalliberalismus* und soziale Doubles
Politik der Bubble Boys

Politik und Kunst taugen seit den letzten Wochen wieder als Zuschreibungskonzepte für unsere Identität, weil sich die Fronten geklärt haben und eine klare Positionierung zur moralischen Pflicht geworden ist. Auch wenn eine breite Solidarität gegen Rassismus und Nationalismus zu begrüßen ist, darf nicht vergessen werden, daß eine Politik, die derartige Deklarationen evoziert, auf eine Redundanz von Geschichte und Emotion zur primitiven Sicherung der individuellen Befindlichkeit baut. Die vielfach zitierte Repolitisierung Österreichs droht hierbei zu kurz zu greifen, wenn sie bei allgemein formulierten Grundsätzen humanistischen Denkens stehen bleibt und den durch Ökonomie, Technologie und elektronische Medien bedingten gesellschaftlichen und kulturellen Strukturwandel weitgehend ausblendet.

In einer hoch flexibilisierten Techno-Gesellschaft begreifen sich zunehmend mehr Menschen als disloziert und kontingent, d.h. gleichzeitig an unterschiedliche Orte gestreut und von Möglichkeiten umworben, deren Notwendigkeiten sie nicht erkennen. Leben fokussiert kein finales Ziel, sondern gleicht einem Metabolismus, der fließend aus einem ontogenetischen Prozeß heraus schöpft: Ontologie, die Lehre vom Sein wandelt sich zur Onkologie, der Lehre von Geschwüren. Privates und öffentliches Leben stehen im Sog eines sozialen Attraktors, der die Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft mischt und eine Befindlichkeit situiert, die der Stellung in einer monadischen Blase gleichkommt, in der Ein- und Ausblicke chimärenhaft interferieren.

Vereinfacht gesprochen bilden diese Interferenzen das Syndrom der Politik der neuen Rechten, deren soziopsychologische Basis ein Amalgam aus äußeren und inneren Ängsten darstellt, das aus der Implosion einer existentiellen mit einer politischen Krise hervorgegangen ist. Nationalismus und Neoliberalismus entziehen dem öffentlichen Leben in den essentiellen Belangen demokratische Grundrechte, wodurch sich die Krise des öffentlichen Diskurses seit den vergangenen zwei Jahrzehnten entschieden verschärft hat. Darüber kann auch die momentane Repolitisierung nicht hinwegtäuschen, denn das Anliegen des nationalliberalistischen Individuums zielt auf einen schleichenden Rückzug aus dem öffentlichen Leben in eine private und intime Erfahrung illusorischer Heimat. Das bürgerliche Individuum versucht über die Schaffung einer privaten Zone emotionale Sicherheit zu etablieren und Öffentlichkeit zu kompensieren: das zivile Ich wird sozialdarwinistisch privatim. Max Horkheimer kam bereits in den 60er Jahren zum Schluß, daß das Aufkommen der Monadologie als aktives Prinzip sozialen Lebens ein Kennzeichen der Zeit sei. Es überrascht nicht, daß Nostalgieeffekte innerhalb von Kunst und Kultur, die Rückkehr eines "Unschuldsmythos", Xenophobie und der Rückzug auf die Familie und in weiterer Folge auf den Körper die letzten Barrieren gegen eine öffentliche und globalisierte Welt darstellen, die am Rande des Kontingenzschocks steht.

Unglücklicherweise ist die private Zone emotionaler Ruhe, nach der sich das bürgerliche Bewußtsein sehnt, aber selbst eine Illusion. Denn die entscheidende Lektion aus den hegemonialen Bestrebungen der technologischen Ordnung ist, daß sowohl das Soziale als auch das psychoanalytische Setting der Identität bereits kolonisiert worden sind; d.h. das moderne "Selbst" ist bekanntlich längst zu einem besitzenden Aspekt der ökonomischen Ordnung transformiert. Auf der Flucht vor dem öffentlichen Leben trifft also das Individuum auf ein inneres Selbst, dessen Gesetze psychischen Handelns den Kontingenzphantasmen der äußeren Welt ähneln. Und dieses ruhelose Oszillieren zwischen dem entlegitimierten Selbst und dem Zustand der Machtlosigkeit bildet die Basis für die politische Unterstützung der härteren ökonomischen und politischen Spielregeln der neuen Rechten.

Inverse Räume perverser Politik

Ein beklemmendes Gefühl aus inneren und aüßeren Ängsten stellt sich immer dann ein, wenn eine Bewegung an ihre territorialen Grenzen stößt, sich diese Grenzen in der Emsigkeit des drohenden Stillstands symbolisch verhärten und Sinnhorizonte versinken. Genau an diesem Zustand laboriert eine im Umbruch sich befindende Gesellschaft, die in einer paradoxen Ambivalenz von Redundanz und Kontingenz Möglichkeiten als Bedrohung und Risiken als Notwendigkeiten sieht. Als Beispiel könnten österreichische Politiker genannt werden, die einerseits in Verkennung der Vernetzung von Gesellschaft von einer linken Internetgeneration sprechen und andererseits rechte neoliberalistische Wirtschaftstools einer Cyberökonomie entlehnen.

Die Verlinkung der beiden Sphären des Realen und des Virtuellen provoziert in Politik und Wirtschaft das Paradox grenzziehender Deregulierungen, die derzeit durch hektische Bestrebungen der Wirtschaft expansiv vorangetrieben werden eine Datenökonomie zu installieren. Diese Datenökonomie als Wirtschaft zweiter Ordnung träumt u.a. von einem Internet als globalen und universalen Versandhauskatalog. Nach den Gesetzen des symbolischen Zeichenhandels sollen unter einem Betriebssystem von konsumistischer Überwachung und Kontrolle Daten auf Kreditkarten gegen Daten aus dem Netz getauscht werden. Diese drag and drop-Wirtschaft, die nach den Gesetzen des copy and paste operiert, ist aber nicht nur die Basis globaler Wirtschaftsspiele geworden, sie erfaßt sukzessive sämtliche gesellschaftliche Bereiche. Der wilde Cyberwesten als Eldorado für neoliberalistische Glücksritter zelebriert im Zeichen eines sozialdarwinistischen high noon seine Duelle mit allen Sozialsystemen. Wirkungen der Cyberökonomie treffen zwar Länder der sogenannten dritten Welt unmittelbarer, aber letztendlich fokussiert sich darin eine global-kulturelle Frage, die verstärkt ihre erschreckende Antwort in nationalistischen Ideologien zu finden scheint. Politcowboys, wie sie derzeit in Österreich an vorderster Front reiten, sind nur deshalb in der Lage einer Stampede gleich Gesellschaft und Kultur in den Schlund eines nationalliberalistischen Molochs zu treiben, weil sie es verstehen innere und äußere Ängste antagonistisch gegeneinander auszuspielen und eine pervertierte Politik invertierter Räume zu etablieren.

Besonders innovative, politisch und sozial reaktive Kunst wird dabei zunehmend gesellschaftlich marginalisiert und stellt innerhalb von Gesellschaft eine diskursiv isolierte Insel dar. Kunst, die nicht der Ökonomie der Unterhaltung oder dem Unterhalt der Ökonomie dient, rückt aus dem Diskurs des Öffentlichen. Ein gesellschaftliches Wertesystem, das seine Orientierung bzw. Okzidentierung nach utilitaristischen Nutzen und Gewinn und nicht nach sozialen Werten, kulturellen Visionen, humanistischen Perspektiven und einem politischen Möglichkeitssinn ausrichtet, bereitet den Nährboden für einen nationalliberalistischen Chauvinismus, der wie bereits eingangs erwähnt nur ein enggefasstes Selbstinteresse und Sicherheitsbedürfnis manipulativ zu fördern bereit ist.

Kulturelle Enzymatik

Diese Form des nationalliberalistischen Chauvinismus ist der kurzsichtige Versuch den persönlichen Wohlstand des eigenen Haushaltes mit den Gewinnen des globalen Wirtschaftshaushaltes - ohne die gleichzeitige Wahrnehmung von Verantwortung außerhalb der eigenen Interessen - zur Deckung zu bringen, was nicht nur in der Konjunktur der Kleinaktionäre seinen Niederschlag findet, sondern vor allem als politisches Konzept der neuen Rechten zu einer Ideologie eines ego-utilitaristischen Neobiedermeiertums mutiert ist. Ein Allgemeinwille a'la Rousseau als Basis eines jeden Gesellschaftsvertrages weicht dem irrationalen Einzelwillen, der die Krise seiner Identität durch Abgrenzung nach außen zu sichern hofft.

Angesichts eines kulturellen Zustandes bei dem der Input des Realen der Output des Virtuellen ist und umgekehrt, benötigt es eine neue elektronische Ökologie, die Politik und Ökonomie miteinschließt, um das Überleben und Funktionieren von Sozietät und Öffentlichkeit zu garantieren. Geografische, politische, ökonomische, soziale und letztlich auch künstlerische Randgruppen brauchen ein entwickeltes und organisiertes Tokenverfahren, um ihre Botschaften, Leistungen und Güter nach außen zu signalisieren und vor dem Rauschen konsumistischer Privatinteressen zu retten. Kunst ist hier aufgerufen als Enzym innerhalb und zwischen sozialen Systemen Kompatibilitäten und Komparabilitäten zu fördern und einen Pool von Öffentlichkeit zu installieren, der gerade in bezug auf die Doublierung oder Avatarisierung von Welt im vernetzten Cyberspace vorhandene Tendenzen territorialer Ängste des inneren Selbst und des äußeren Anderen nicht reziprok codiert, sondern die Stellung des Individuums innerhalb von Gesellschaft, Kultur und Politik dia- und polylogisch prozessiert.

*Der Begriff Nationalliberalismus bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die "freiheitlichen" und "nationalen" Wurzeln der FPÖ und nicht auf die historische nationalliberale Partei Deutschlands. Die Ersetzung von "Neo" durch "National" im Begriff Neoliberalismus verweist hier seiner Etymologie gemäß auf das "egoistische Gen" einer sozialdarwinistischen Politik.

Thomas Feuerstein, High Noon im Cyberspace. In: Galerie 5020 (Hg.), Ökodrom, Salzburg 2000, S. 7 ff.

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